Fragen und notwendige Antworten zu den Auseinandersetzungen nach dem Schanzenviertelfest
Wer sich die Reaktionen in den Medien anhört, könnte meinen, beim Schanzenfest wäre einem der Himmel auf den Kopf gefallen. Irgendetwas ganz und gar Außergewöhnliches sei in dieser Nacht geschehen. Haben wir etwas verpasst? Spiegel-TV verglich die Situation bei Protesten gegen die NPD und am Schanzenfest gar mit dem Kriegseinsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Das ist zwar völliger Unsinn, aber angesichts dessen, dass bei den Protesten gegen die NPD scharf geschossen wurde und der Polizeisprecher darauf gleich noch einen Freifahrtschein für den gezielten Todesschuss für Steinewerfer lieferte, aber womöglich doch bezugsreicher als einem lieb ist. Deutschland soll von der Schanze bis in den Hindukusch hinter seinen „Uniformträgern“ stehen. „Erlebnisorientierte Jugendliche“ erscheinen bei so viel Empörung beinahe schlimmer als Taliban und NPD zusammen.
Im medialen Schulterschluss zwischen Innenbehörde und Presse entsteht eine heile Welt voller friedlich feiernder Mitdreißiger im Schulterblatt, brav ihren Dienst versehenden Polizist_innen am Heiliggeistfeld und natürlich den unvermeidlich zugereisten marodierenden Twentysomethings, die selbstredend keine Ahnung haben, was echter Protest ist, geschweige denn ein politisch korrekter Krawall, der bei gepflegten Alt-Achtundsechziger-Expertenrunden auf diplomatische Anerkennung stößt.
Das Leben ist kein Honigkuchenpferd
Das bösartige Fremde kommt wie immer von außerhalb, während mensch es sich drinnen scheinbar in heimeliger Gemütlichkeit einrichtet und mit dem Freund und Helfer arrangiert. Soviel Einigkeit und Frieden wäre für die Schanze dann aber doch überraschend und weltfremd. Die Wirklichkeit ist wie so oft anders und vielschichtiger, als in den Erzählungen, die zur Zeit durch die Medien geistern.
Waren es früher die Halbstarken, später die Langhaarigen, dann die Punker, die das Bild des Friedens störten, sind es heute die „Erlebnisorientierten“. Schon das Wort alleine klingt verrucht nach Störenfried. In der Ordnung der IKEA-Supermärkte und Großraumdiskos ist Erleben längst zu einer Ware geworden, für die angestanden wird. Das Leben vollzieht sich als lange Schlange stehen zwischen Arbeitsamt und Mini-Job. Wer aus dieser Schlange ausschert gilt als „erlebnissorientiert“. Während Wrestling-Shows und Ballerfilme durch die Glotze flimmern, gilt es als unangebracht, seine Zeit damit zu verbringen, die Bushaltestelle vor der Haustür vollzuschmieren, die einen nie wirklich irgendwohin bringt, sondern nur den trostlosen Ausblick auf einen grauen Alltag möglich macht.
Bushaltestellen waren vermutlich schon immer die Lackmusstreifen der Perspektivlosigkeit und Langeweile. Sie sind Orte der Verwüstung, weil sie ein zynisches Mahnmal der verlorenen Zeit von uns allen darstellen. Wer das Warten satt hat, setzt sich in Bewegung und das ist gut so. Eine Welt ohne beschmierte Bushaltestellen und zerstörte Kaugummiautomaten ist der letzte Ort, an dem wir alt werden wollen. Erlebnissorientiertheit hat weder etwas mit dem Alter noch dem Wohnort zu tun. Es hat vielmehr etwas mit Begehren und vom Fleck kommen wollen zu tun. Die Welt, in der wir leben ist nicht widerspruchsfrei und ebenso wenig sind es die Ausdrücke, die Unzufriedenheit mit dieser findet. Dies alles jedoch nur auf die Frage der Gewalt zu reduzieren, auf einen Punkt zu verdichten und anschließend mit dem Hammer in die Wand zu schlagen, lehnen wir ab. Veränderung entsteht aus Utopie, Kritik und Selbstkritik, der Infragestellung des Gewohnten und Umbrüchen, die auch, aber eben nicht ausschließlich als Kissenschlacht daherkommen.
Das Schanzenfest ist nicht friedlich oder unfriedlich!
Es ist ein Ereignis, das versucht, die gesellschaftliche Situation im Stadtteil zu thematisieren und in anderer Form als einer Demonstration politische Kritik auszudrücken. Es geht ebenso wenig darum, ein „friedliches Fest“ zu feiern, wie darum, einen Ort für abendliche Auseinandersetzungen mit der Polizei herzustellen. Wenn solche Auseinandersetzungen aber das Ergebnis eines solchen Festes sind, dann distanzieren wir uns nicht von diesen, sondern Fragen uns: warum? Eine Frage ,die sich derzeit keiner mehr zu stellen scheint vor lauter Aufregung und Gezeter über „erlebnisorientierte Jugendliche“. „Hass“ auf das System rechtfertigt nicht alles, aber es ist zweifelsohne eine sehr menschliche Regung angesichts der Eitelkeit und Arroganz, mit der an Aufwertungsstrategien, Hartz IV-Kontrollinstrumenten und sozialer Ausgrenzung gearbeitet wird. Die Lebensperspektive für Jugendliche heißt heutzutage vor allem Unterordnung in einem immer schärfer regulierten Alltag über Schule, schikanöse Warteschleifen der Arbeitsagentur und Ausbildung in schlecht bezahlte Jobs, über die mensch anschließend auch noch dankbar und glücklich sein soll.
Wir sind nicht überrascht, dass es in der Nacht zum 13. September noch geknallt hat. Dies war letztlich aber ja auch niemand. Wir fanden beileibe nicht alles gut, was in diesem Zusammenhang vorgefallen ist. Dies hat für uns aber an dieser Stelle nichts verloren. Dass der Auslöser für alles weitere aber ein Angriff auf eine Polizeiwache war, ist aufgrund der Entwicklung in den letzten Wochen ein in sich folgerichtiges Ende einer Kette von Ereignissen. Was hat mensch eigentlich erwartet?
Unschuldslämmer und Engelszungen
Seit mehreren Wochen überbieten sich Bezirk und Innenbehörde in Drohungen gegen das Fest. Von Verboten ist die Rede, Festnahmestraßen und unnachgiebiger Härte. Zwei Tage vor dem Straßenfest kommt, wenn mensch der Presse glauben darf, ein Ole von Beust aus der Versenkung und mahnt Ahlhaus zur „Zurückhaltung“, weil vor den Wahlen eine große Straßenschlacht politisch nicht gewünscht ist. Was wäre eigentlich, wenn die Wahlen ein paar Wochen früher gewesen wären? Als Konsequenz parkt anschließend ein gigantisches Polizeiaufgebot 600 Meter vom Fest entfernt. Die zerbrochenen Fenster der Polizeiwache werden schließlich zum Anlass genommen, ein komplettes Fest mit mehreren tausend Besucher_innen heftigst von der Straße zu prügeln. Verhaftete wurden dabei vor laufenden Kameras in den Einsatzfahrzeugen der Polizei misshandelt und Festbesucher_innen allein für ihre Anwesenheit mit dem Wasserwerfer durch die Straßen getrieben.
Wenn diese Vorgehensweise im Anschluss als deeskalativ bezeichnet wird, dann befinden wir uns in der schöngezeichneten Welt der Entsorgungsparks und „Deeskalation durch Stärke“. Die Unzufriedenheit und Wut bei vielen Jugendlichen fällt nicht vom Himmel und sie ist auch kein Ausdruck völlig unpolitischen Handelns. Sie greift zurück auf die Erfahrungen aus den letzten Jahren und das, was die politische Gegenwart an Antworten hergibt. Wer den Ausbruch von Gewalt schlicht als unpolitisch bewertet, kann die Ursachen nicht begreifen und damit auch keine Alternativen erkennen; im Fall des Schanzenfestes die jahrelangen massiven Übergriffe auf kleine Lagerfeuer. Wieso fragt eigentlich niemand, weshalb in den letzten Jahren solche Einsätze gefahren worden sind, wenn diesmal scheinbar alles so gut gelaufen ist? Wo sind Konsequenzen für die Verantwortlichen für Polizeigewalt und Misshandlungen?
Am Schanzenfest soll jetzt im Anschluss beispielhaft ein innenbehördlicher Frieden zelebriert werden. Wer nix macht, dem drohe auch keine Gewalt. Die Polizei agiere mit Augenmaß. Quatsch mit Soße! Ahlhaus behauptet steif und fest, er habe denselben Einsatz gefahren wie am 4. Juli. Alle wissen, dass dies gelogen ist. Aber bedeutet dies irgendetwas? Die Innenbehörde versucht, sich heute hinzustellen und formuliert: Wir haben keine Fehler gemacht. Dies war und ist das Ziel der unschuldslammartig vorgetragenen Verwunderung über die Krawalle nach dem jetzigen Fest.
Die Feste feiern wie sie fallen!
Es ist erstaunlich, wer sich in den letzten Tagen alles berufen fühlt, sich zum Fest zu äußern. Die NPD, Ahlhaus oder irgendwie „Anwohner“ in Internetforen, die klingen wie die Gewerkschaft der Polizei auf Speed. Die Initiativen, die das Schanzenfest getragen haben, werden sich jedenfalls nicht als Manövriermasse für solche Inszenierungen anbieten. Sie werden nicht zu Bürgerwehren der inneren Sicherheit und treten keine Feuer aus, die Innensenator Ahlhaus gelegt hat. Sie haben ein Fest als politische Intervention vorbereitet. Nicht mehr und nicht weniger!
Das Schanzenfest vom 12. September war ein voller Erfolg und weitere Schanzenfeste werden folgen. Ihr Verlauf wird maßgeblich davon bestimmt sein, vor welchem gesellschaftspolitischen Ausgangspunkt sie stattfinden. Solange gesellschaftliche Teilhabe über Polizeiknüppel reguliert wird, wird es jedenfalls auch immer Widerstand gegen den repressiven Alltag geben. Solange nicht die richtigen Fragen gestellt werden, können auch keine Antworten gefunden werden. Das war schon immer so und das wird auch so bleiben.
Vorbereitungskreis
„Schanzenviertelfest reloaded“
Hamburg 14.12.2009
Quelle: http://de.indymedia.org/2009/09/260922.shtml